Heute will ich in diesem Blog den ersten Eintrag auf Deutsch schreiben, es fällt mir beim Thema, über das ich schreiben will leichter, meine Gedanken in klare Bahnen zu lenken, wenn ich in meiner Muttersprache schreibe. Das soll aber die Ausnahme bleiben, denn ich will ja meine writing skills schulen :)
Worum es geht: Ich möchte mich auslassen über ein Phänomen, dass mich seit langem beschäftigt und das mich kollosal stört: Wie Kommentarseiten auf den Webseiten großer Nachrichtenfirmen dazu missbraucht werden, mit Gedankenmüll die Lust auf freie Meinungsäußerung kaputt zu machen.
Ich lese gerne online Zeitungsmeldungen und habe auch einige Newsfeeds abonniert, die mich über neueste Entwicklungen im Weltgeschehen halbwegs informiert halten. Auf dem neuesten Stand zu bleiben, ist mir wichtig und deshalb finde ich solche Möglichkeiten toll. Worüber mir allerdings regelmäßig fast das Kotzen kommt, sind die zugehörigen Kommentare. Eine Kommentarfunktion ist ja mittlerweile überall Standard (wie auch hier im Blog) und sie ist im Grunde ja auch eine prima Sache. Nutzung der möglichkeiten neuer Medien in Reinkultur möchte man meinen, ermöglicht sie doch zumindest theoretisch den Ausbruch aus dem alten medialen Sender-Empfänger-Schema. Im Grunde verwirklicht die Kommentarfunktion eine sehr wichtige demokratisch-liberale Idee: Das grundsätzlich Alle die Möglichkeit haben, sich durch Diskussion am Medienschaffen zu beteiligen.
Und wie das eben immer so ist: Eine tolle theoretische Idee kann in der Realität schnell ganz hässliche Folgen haben. Ich will das an einem Beispiel klarmachen, durch das ich darauf gekommen bin, diesen Eintrag zu schreiben.
Tagesschau.de meldete heute unter der Überschrift "Freizügiger TV-Sultan erhitzt türkische Gemüter", dass es in der Türkei zu einem Protest gekommen sei, weil in einer Fernsehserie über das Osmanische Reich ein türkischer Volksheld angeblich zu freizügig dargestellt wird. Persönlich fände ich es ja grundsätzlich mal interessant, die Serie zu sehen. Über das osmanische Reich weiß ich persönlich sehr wenig und Geschichte als Fernsehserie aufzuarbeiten, war noch nie eine schlechte Idee, wenn's denn gut gemacht ist. (Hat jemand zufällig eine Idee, wo man "Das prächtige Jahrhundert" her bekommt, am besten mit Untertiteln? ;D)
Davon abgesehen, kann man zur Fernsehserie und der Meldung meinen, was man will. Man kann sich eine Meinung darüber bilden, ob es wirklich berichtenswert ist, wenn irgendwo im Osten 40 Menschen gegen eine Fernsehsendung demonstrieren. Man kann sich darüber wundern, wie bescheuert Heldenverehrung sein kann, wenn es Menschen gibt, die es anstößig finden, wenn ein längst toter Sultan mit einem Bierkrug in der Hand gezeigt wird. Von mir aus auch darüber nachdenken, wie unterschiedlich Menschen aus verschiedenen Kulturen manchmal ticken. Alles das ist legitim, aber man muss doch nicht immer zu allem seine Meinung kundtun!
Und hier genau liegt das Problem: Es gibt nämlich bestimmte Stichwörter, bei denen anscheinend plötzlich ganz viele Menschen ganz doll meinen, dazu ganz viel meinen zu müssen. Ich stelle mir das wie eine menschliche Bot-Armee vor, destruktive Computerprogramme aus kleinen, dunklen Räumen, die nichts anderes zu tun haben, als tagein, tagaus per Google-Suche nach Stichwörtern wie "Islam" oder "Arbeitslosigkeit" zu suchen und ständig danach streben, die Kommentarseiten mit dem ewig gleichen Gesülze unübersichtlich und unangenehm lesbar zu machen.
Kaum kommt nämlich in einer noch so unwichtigen Meldung das Wort "Türke" vor (wie in der Tagesschau-Geschichte sogar im Titel), ist die Hetze gegen den Islam nicht fern. Die angesprochene Meldung macht da natürlich mal wieder keine Ausnahme: Da wird dann die Türkei ein "islamischer Staat" genannt, obwohl die Türkei doch eine sekuläre Republik ist, oder davon gesprochen, wie angeblich die "islamischen Kreuzzüge" bagatellisiert werden. So ist es bei vielen Themen und Stichwörtern: Statt bei der Sache zu bleiben werden dann ruckzuck wieder übliche Klischees bedient, ob gerade zum Thema passend oder nicht: Faule, korrupte Politiker, böse Einwanderer, verfallende christliche Werte. Die Welt allgemein ist ja so ein furchtbarer Ort und die Anderen grundsätzlich Schuld daran.
So ängstlich aufgeladen verkommt die "Diskussion" so im besten Fall zu einem (pardon) ekelhaften Selbstmitleidsgewichse, was schon schlimm genug ist. Leider bleibt es dabei nicht. Von einer Fernsehserie über das Osmanische Reich in Streit darüber zu geraten, ob nun die christlichen Kreuzzüge oder die "türkischen" Plünderungen des Mittelalters schlimmer waren, oder mal wieder die alte Leier vom ja so "asiatischen Land" anzufangen ist perfide und zeigt, wie die Kommentarfunktion zur Emotionalisierung und Hetze mißbraucht wird. Dazu werden dann gerne "Fakten" aus dem Bereich des gefährlichen Halbwissens aufgefahren, gemischt mit fieser Stammtischrhetorik aus der untersten Schublade. Nach Herzenslust kommt eine Scheißmentalität nach dem Motto "das wird man ja noch sagen können" zum Ausdruck, und traut sich irgendwer anderes, eine wirkliche Meinung zu vertreten, kommen Kampfbegriffe wie "Zensur" oder "politische Korrektheit" zum Einsatz und erschlagen ganz fix jede Widerrede bis auch der letzte geltungssüchtige Ängstling sich an seiner standfesten Meinung aufgegeilt hat. Nachvollziehbar ist das selten, fundiert umso weniger, und eigentlich nie in einem sachlichen Ton geschrieben. Eine Kultur der Meinungsfreiheit, die die Kommentatoren so lautstark einfordern, wird von ihnen selbst kräftig untergraben.
Angesichts dieser unappetitlichen Diskussionszerstörung ist mir bisher noch jedes Mal der Apetit auf mein Recht zur Meinungsäußerung in dieser Form vergangen. Ich muss zugeben, dass ich noch nie Themen auf großen Nachrichtenseiten kommentiert habe, selbst dann nicht, wenn es Berichte waren, die mich bewegt oder aufgerüttelt haben, Themen an denen ich interessiert war und zu denen ich eventuell etwas beizutragen hätte. Ich ärgere mich darüber, dass es die Ekel-Bots geschafft haben, mir jegliche Freude an meinem (Grund-!) Recht zur freien Meinungsäußerung nehmen. Angesichts des kolossal ungleichen Verhältnisses von Müll zu Brauchbarem, das man leider überall vorfindet wo man sich Kommentarseiten anschaut, kann es nicht nur mir so gehen.
Gerade hier schleicht sich ein Gedanke ein: Könnte nicht das, was mich von diesen ganzen Feinden der wirklichen Meinungsfreiheit unterscheidet, sein, dass ich mir von diesen Miesepetern eben nicht meine Lust am sachlichen, kontroversen und konstruktiven Diskutieren versauen lasse? Wenn ich dafür nicht genügend Energie habe und ihnen das Feld überlasse, kann ich mich ja auch eigentlich nicht beschweren, denn dann würde ich mich ja auch aufs Schmollen zurückziehen und wäre nicht besser als die, die ich hier angreife. Warum es also nicht besser machen und bei mir selbst anfangen? Wer weiß, vielleicht schreibe ich ja demnächst mal etwas im Kommentarbereich bei zeit.de oder tagesschau.de und schaue mal, wie es sich so anfühlt. Wenn es gut läuft, werde ich dann vielleicht öfter mal versuchen, meine Meinung in großen Nachrichtenportalen zu vertreten und zu einer besseren Diskussionskultur beizutragen, einen Versuch ist es ja allemal wert.
Zu der Meldung um den türkischen Fernsehprotest werde ich mich allerdings schön bedeckt halten, dazu wird das tagesschau.de-Forum wohl keinen Kommentar von mir erleben. Diese unwichtige Randnotiz hat mir auch so schon viel zuviel Zeit gestohlen :)
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